In der Gegenwart sehnt man sich kollektiv nach dem Früher, denn früher war alles besser. Der Schuldige dafür ist schnell gefunden, „die heutige Jugend“. Niemals zuvor in der Geschichte war die Jugend fauler, dümmer, verantwortungsloser und verkommener als heute, wenn man zeitgenössischen Vertretern Glauben schenkt.
Für die Zukunft gibt es keine Hoffnung, wenn Generation Doof, Generation faul, Generation Hotel Mama die noch vorherrschende Baby-Boomer-Generation (Generation X) ablöst. Wir alle steuern unaufhaltsam auf den Abgrund zu und nichts wird mehr sein, wie es einmal war.
„Früher“ ist vor 5.000 Jahren
Bereits 3.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung stellten die Sumerer ähnliches fest. 2.000 Jahre später merkten die Babylonier an, dass die Jugend niemals zuvor fauler und dümmer war und alle nachfolgenden Generationen unwiederbringlich zerstöre. Um etwa 400 vor Christus ließ der griechische Philosoph Sokrates identisches verlauten.
Kaum 100 Jahre später hatte der antike Philosoph Aristoteles ebenfalls keinerlei Hoffnung mehr für Zukunft, denn Sitten, Moral und Kultur. Seit nunmehr 5.000 Jahren richtet die Jugend die Menschheit also zugrunde.
Ursachensuche
Der umfassenden Zugang zu Massenmedien und Meinungsplattformen, oder die Folge einer im Übermaß verwöhnten Baby-Boomer-Generation. Möglicherweise auch eine Art Mandela-Effekt. Er beschreibt Gegebenheiten, die viele Menschen gleichzeitig als Realität oder Wahrheit empfinden, die in Wirklichkeit aber niemals stattgefunden haben.
Es ist der drängende Wunsch nach Anerkennung, die eigene Überheblichkeit, sich selbst als Maß der Dinge und Autorität hervorzuheben. Ich bin besser als du, klüger, weiser und das verdient – nein, verlangt untertänigsten Respekt!
Am Rande erwähnt lassen sich nur die nennenswerten Dichter und Denker der Generation X an einer Hand aufzählen. Welche Makel, Gebrauchsgegenstände oder Trends abseits der bereits genannten die jeweiligen Zeitgenossen auch für die verkommene Jugend vergangener Generationen fanden, in der Gegenwart sind sie hinreichend dokumentiert.
Es sind die Smartphones!
Experten warnen davor, sie seien erhebliche Gesundheitsrisiken mit Suchtfaktor und Eltern sollen ihre Kinder mit allen nötigen Mitteln davor schützen. Liest man solche Schlagzeilen, die regelmäßig im Abstand weniger Monate auftauchen und tauscht dabei die Worte Smartphone gegen Fernsehen aus, fühlt man sich glatt um 20 Jahre in der Zeit zurückversetzt – in die Generation Fernsehsucht.
Diese Art von Reportagen kann natürlich nur dann authentisch wirken, wenn schon in den ersten Zeilen mehrmals die Worte Sucht, Studie und Experten angeführt wird. Nach Namen und Quellen sucht man oft vergebens. Die Folgen der damaligen Fernsehsucht waren verheerend: Epilepsie vom Flimmern des Bildschirms, Fettleibigkeit, Lähmungen, Autismus und sogar Krebs durch die Röntgenstrahlung des Bildschirms.
Man prophezeite damals für die Zukunft überproportionale Zahlen an Menschen, die unter den oben genannten Schädigungen leiden werden. Von einer Sucht wird gesprochen, wenn der Konsum mehr als eine Stunde pro Tag überschreitet, daher stammt wohl auch das Wort „Kinderstunde“.
Möglicherweise haben die Eltern- und Großeltern-Generationen der damaligen Zeit ihren Nachwuchs nur so gut vor den Folgen der Fernseh-Apparate geschützt, dass deshalb die prophezeiten Horden an schwerbehinderten Menschen noch bis heute auf sich warten lassen. Es folgte noch die Computer-Sucht, die Internet-Sucht, dann die Spiele-Sucht.
Süchtige letzteren Punktes werden auch „Smombies“ genannt, eine Wortmischung aus Smartphone und Zombie. Die Nachwirkungen für die gegenwärtige Generation an Kindern und Jugendlichen sind wie immer gravierend: Hyperaktivität (ADHS), Übergewicht und einiges mehr.
Früher gab es das nicht!
Da ging man noch aus dem Haus, um draußen zu spielen! Sich mit Freunden zu treffen und gemeinsam etwas zu unternehmen! Wahrheiten sind flexibel, denn auch damals ging man schon nicht mehr aus dem Haus. In dieser Generation zuvor war das Wort „Stubenhocker“ gerade sehr in Mode, es gab Telefone und die Telefon-Sucht.
Die restliche Zeit wurde natürlich ausschließlich vor dem Fernsehgerät verbracht. Der Fernseher kommt aber auch in der Gegenwart nicht zu kurz. Immerhin steht dieser teuflische Apparat, der ganze Generationen zu Schwerstbehinderten gemacht hat, immer noch in deutschen Wohnzimmern.
Heute wird die Jugend vom Überkonsum immerhin nur noch hyperaktiv. Es lässt sich nur mutmaßen, dass alles darüber wahrscheinlich tödlich ist.
Auch der Computer ist dabei. Nach dreißig Minuten pro Tag wird es gefährlich. Ironisch, dass dabei die gleichen Experten verpflichtenden Computer- und Programmierunterricht schon in Grundschulen fordern, um die junge Generation auf die Zukunft einzustimmen.
Nonplusultra: „Lesen“
Das Internet ist inzwischen rund ein halbes Jahrhundert alt. Computer und Fernseher sind rund einhundert Jahre alt und noch immer spricht man von neuen Medien. Es bleibt eigentlich nur das Buch.
Damit stellt sich die Frage, wann und warum es in der Geschichte zum Nonplusultra wurde, zum exakten Gegenpol allen Übels einer gegenwärtigen Generation? Und wann wurde es zur einzig geachteten Beschäftigung erhoben? Erst in jüngster Vergangenheit. So stellte beispielsweise der Theologe und Autor Karl Gottfried Bauer Ende des achtzehnten Jahrhunderts fest:
Die erzwungene Lage und der Mangel aller körperlichen Bewegung beym Lesen, in Verbindung mit der so gewaltsamen Abwechslung von Vorstellungen und Empfindungen führt zu Schlaffheit, Verschleimung, Blähungen und Verstopfungen in den Eingeweiden (…) recht eigentlich auf die Geschlechtsteile wirkt, Stockungen und Verderbniß im Blute, reitzende Schärfung und Abspannung im Nervensysteme, Siechheit und Weichlichkeit im ganzen Körper.
(Karl Gottfried Bauer, „Über die Mittel dem Geschlechtstrieb eine unschädliche Richtung zu geben“, 1787)
Wir können offiziell festhalten, dass sogar das Lesen von „Experten“ mit höchst schädlichem Ausmaß prognostiziert und herabgesetzt wurde. Auch später, zu Zeiten der Industrialisierung galt als dumm verrufen, wer seine Kinder Bücher lesen ließ, statt sie in die Fabrik zur Arbeit zu schicken, wo sie wirklich etwas Produktives verrichten und für das Leben lernen könnten.
Suchtrelativierung
Real existierende Süchte (per Definition) nach Rauschmitteln werden hingegen medial gefühlt fahrlässig karg behandelt. Alkohol oder Substanzmissbrauch scheint keine Leser mehr anzuziehen. Dabei macht beides abhängig, schädigt wirklich den Körper, zerstört Existenzen und kostet sogar Menschenleben.
Legal und gesellschaftlich legitimiert: Das unverzichtbare Feierabendbier, Wein und Schnaps, der Workout, die Zigarette danach oder die Schlaftablette zur Nacht. Der morgendliche Kaffee ist nicht nur Genussmittel und Energielieferant, Koffein ist ein Nervengift – aber es kann nicht sein, was nicht sein darf.