Dislike-Button: YouTube entzieht Kritikern die Stimme
YouTube will das Bewertungssystem ändern. Laut Aussage der bekanntesten aller Videoplattformen, soll der Dislike-Button funktionslos gemacht werden. Während die Anzahl abgegebener positiver Bewertungen für ein Video weiterhin angezeigt wird, sollen die negativen Stimmen ausgeblendet werden.
Was bei den Kommentaren bereits vor Jahren umgesetzt wurde, betrifft bald auch die Videos selbst. Vorbei sind also die Zeiten, in denen man ein gutes Tutorial von einem schlechten unterscheiden kann und Scammer haben freie Hand.
Warum das Bewertungssystem wichtig ist
YouTube ist eine Plattform, auf der man Videos mit einer Länge von wenigsten Sekunden bis hin zu mehreren Stunden ansehen kann. Von Filmen, Dokumentationen, Tutorials, Musik und unzähligen Eigenkreationen, gibt es Inhalte jeder nur erdenklichen Art. Vieles davon ist sicherlich Werbung, Spam und Müll, anderes jedoch lehrreich, wichtig und sinnvoll.
Können die Zuschauer nicht mehr unterscheiden, ob sie ihre Zeit verschwenden oder sinnvoll investieren, werden sie sich Alternativen suchen. Bei Clips von wenigen Minuten mag es noch funktionieren, eine Orientierungshilfe wie Bewertungen zu entfernen, aber wer will schon riskieren, eine halbe Stunde oder mehr seine Zeit zu verschwenden?
YouTube kontert, die inhaltliche Qualität sei an den „Views/Klicks“ messbar. Nein, ist sie nicht! Die Relation von Views/Klicks zu Bewertungen ist weder vergleichbar noch aussagekräftig. Ein kaum geklicktes Video kann großartig sein, genau so kann ein millionenfach geklicktes Video schlecht sein. Es bleibt nur das Verhältnis des Bewertungssystems: Gefällt mir/gefällt mir nicht.
Vorwände
„Dislike-Attacken“ und „Mobbing von Content-Erstellern“ gibt das Unternehmen als Begründung an. Das Abschalten der Dislike-Zahl würde auch besonders kleinen und neuen Kanälen zugute kommen, sagt YouTube. Dabei wird aber höchstens der schlechte Content großer bzw. monetarisierender Kanäle gehätschelt, denn kleine Kanäle klein zu halten, verfestigte man schon 2018.
Und wer sind die großen Kanäle? Firmen, Prominente, Politiker, Werbetreibende – oder mit anderen Worten: Es sind die Kanäle, an denen das zu Google gehörende Unternehmen verdient.
Niemand bestreitet, dass sich Gruppierungen zusammentun, um einem Videoproduzenten mit Dislikes zu schaden. Aber wie viel Prozent einer Videoplattform mit rund zwei Milliarden Nutzern betrifft das? Einen Bruchteil davon. Auch ich bekomme hier auf meiner eigenen Plattform Kommentare und Mails, deren Inhalte von Beleidigungen zu Spam reichen. Welchen Sinn macht es, deshalb die Funktionen zu deaktivieren und der konstruktiv friedlichen Mehrheit die Stimme entziehen?
Die Community ist nicht begeistert
Die Reaktion der YouTube-Community, mit knapp 100.000 Dislikes für das Ankündigungsvideo in kürzester Zeit.
Half of YouTubes mission is to give everyone a voice
…indem man sprichwörtlich der Hälfte die Stimme entzieht? YouTube beschwichtigt weiter in seinem Video. Es geht um die „Sicherheit der Community“ und den Schutz der Videoersteller. Schutz der Community vor Dislikes? Das ganze hört sich allmählich abenteuerlich an.
Wenn es das Ziel ist, die Sicherheit der Community zu gewährleisten, bewirkt das Entfernen von Dislikes und Kommentaren genau das Gegenteil. Wenn das Bewerten des Contents der Community und den Videoersteller Schaden zufügt, sollte man vielleicht besser gleich das Internet abschalten.
Angemessene Kritik wird gestrichen (auch in den Kommentaren). Der Downvote-Button bei Kommentaren ist schon seit Jahren ohne Funktion. Er gaukelt unwissenden Nutzern nur vor, dass ihre Stimmen gewichtet werden. Nutzer beschweren sich der Reihe nach im Ankündigungsvideo, dass ihre Kommentare und Fragen dazu einfach gelöscht werden. All das ist maximal ein Beweis dafür, dass YouTube nicht einmal hinter seiner eigenen Haltung steht.
Und macht es das nun unbedingt besser, dass die Video-Eigentümer die Anzahl der Dislikes sehen „dürfen“?
YouTube sägt am eigenen Ast
YouTube ist längst eine „kritische Plattform“, ohne AdBlocker quasi nicht benutzbar. Die Anzahl der Werbeinhalte ist extrem zu hoch und soll sogar noch weiter erhöht werden, um mit YouTube Premium Einnahmen zu generieren. Doch an Premium gibt es nur wenig Interesse. Wozu auch, man bezahlt für ein Produkt ohne Inhalt. Es gibt keinen exklusiven Content und keine nennenswerten Extras. Man bezahlt nur, um die ausufernde Werbung abzuschalten und ist damit längst nicht werbefrei! Am PC lässt sich das noch mit AdBlockern in den Griff bekommen, aber für die Apps gibt es keine brauchbare Alternative.
Das aggressive Bewerben von YouTube Premium und Music macht das ganze nicht besser. Mir persönlich ist es längst lästig, über die Apps ein Video anzusehen und ich weiche oft auf Alternativen wie Dailymotion oder Vimeo aus. Ja das hat Defizite, ist aber unterwegs allemal besser, als mir im Vorspann Werbung ansehen zu müssen, mitten im Video unterbrochen zu werden und dann noch mit fünf oder sechs dicken Bannern im Bild, belästigt zu werden. Aus dem gleichen Grund schaue ich übrigens schon lange kein lineares Fernsehen mehr.
Perfektes Timing für Content-Ersteller, auf andere Plattformen zu wechseln
Was im Endeffekt passieren wird, weiß natürlich niemand. Bis jetzt im Moment des Erscheinens dieses Beitrags, funktioniert das YouTube-Bewertungssystem noch wie gewohnt.
Hat man die Entwicklung von Social Media verfolgt, weiß man auch, dass Instagram dem einst beliebten Flickr den Rang abgelaufen hat. Instagram, wo winzig kleine Fotos in bescheidener Qualität ohne zureichende Funktionen geteilt werden können…
Das ganze YouTube-Debakel könnte allerdings auch umstrittenen Plattformen wie TikTok zugute kommen.